Bunker Gröpelingen 1
Jürgen Waller:
„Die Leute wollen da gar nicht dran erinnert werden."
Jürgen Waller, Maler, Keramiker und Objektmacher hat 1978 im Bremer Stadtteil Gröpelingen mit Studierenden der Bremer Hochschule für Künste drei Außenwände des Bunkers Pastorenweg gestaltet. Das Thema ist die Geschichte des Stadtteils Gröpelingen und der Werft AG-Weser von 1878 bis 1978. Im Juli 2010 hatte ich Gelegenheit mit ihm über dieses Historienbild im öffentlichen Raum zu sprechen. Wir trafen uns in einem Café in Vallauris (Südfrankreich), wo er seinen Zweitwohnsitz hat.
Astrid Gallinat: Als Du 1977 an die  Bremer Hochschule für Künste kamst, gab es das Programm „Kunst im öffentlichen Raum" bereits seit vier Jahren in Bremen. Wie hatte sich die Kunst im öffentlichen Raum bis dahin entwickelt? Was war da passiert?

Jürgen Waller:
Ursprünglich haben die Verbände dafür gekämpft. 73 war der Durchbruch mit der berühmten 2%-Kunst-am-Bau-Klausel und deren Umsetzung. Jedoch richteten sich diese 2 % an Neubauten.

Bremen hatte im Gegensatz zu vielen anderen Städten - weil es auf Sand gebaut war oder ist - kaum Tiefbunker, sondern die Hochbunker. Das sind ja riesige Betonwände. Und Bremen hat dann ein Model entwickelt, dass mit dem Geld dieser 2 % Künstler diese Bunker verschönerten.


Das erste Projekt war für irrsinnig viel Geld die Gestaltung des Bunkers Hardenbergstraße. Dieser Bunker wurde dann mit einer Ähre bemalt. Der Künstler kriegte dafür glaube ich 80 oder 90.000 Mark, also es war irrsinnig viel Geld …

Dann war es, meiner Kenntnis nach oder meiner Erinnerung nach, das erste
Andermatt, Jürg:
Kornähre 1977
Bremen Neustadt
Hardenbergstraße
Stuzmann, Hermann
Liebe Herta! Nie wieder Krieg haben wir ge...
1977, Bremen, Halmerweg
sagen wir etwas politische Bild von Hermann Stuzmann mit dem Brief „Liebe Herta! ..." also, dass es wie ein Notizblock aussah. Es gab dann furchtbar viele Widerstände und diese ursprüngliche Fassade wurde nicht bemalt, sondern musste ausweichen auf einen anderen Bunker. Dann gab es auch keine Diskussion mehr.

Früher gab es in den Stadtteilen die Stadtteilbeiräte. Die stellten diese Projekte öffentlich vor. Man nannte das so wunderschön Demokratisierungsprozess, was aber Quatsch war, weil die Leute kamen da ja gar nicht hin, die schimpften immer nur, wenn es dann da war.

Als ich an die Hochschule kam, da gab es ein Projekt. Projekte sind immer gut für Studenten, die nicht studieren wollen, hinter Projekten kann man sich immer gut verstecken. Die Studenten machten für diesen Bunker da in Gröpelingen, so eine Stadtteilbefragung, wie sich der Stadtteil verändert hat, und gruben dann eben einiges aus. Zum Beispiel dieses Denkmal zu Ehren der Gefallenen der Räterepublik, was die Nazis abgerissen haben, vernichtet haben. Damit fingen sie an, ein furchtbares Wandbild zu konzipieren. Ich hab mir das dann angeguckt und gesagt „Das geht so nicht!" Da gab es erstmal Studentenprotest, weil die wollten eben was machen, von dem ich überzeugt war, dass es keine zwei Jahre überdauernd.
Ich habe dann ein Konzept gemacht und das einer Jury vorgestellt, in der so Leute saßen wie Uwe Schneede von der  Hamburger Kunsthalle usw.  Anschließend habe ich quasi die Studenten angestellt, um das Bild zu malen. D.h. wenn die fertig waren, nachmittags um vier, hab ich mich hingesetzt oder hingestellt und habe quasi korrigiert, das richtig gemalt.

Am Anfang waren die Leute unheimlich dagegen. Aber als es dann fertig war, kam das Fernsehen von überall her, auch die BBC London, und dann fanden sie das auf einmal ganz gut. Da war Öffentlichkeit hergestellt und es wurde dann zu einer Art Pilgerstätte. Im vorletzten Jahr, also nach 30 Jahren, habe ich das Ding restauriert, weil die Stadt es verkommen ließ. Ich musste die fast verklagen. Aber jetzt steht es mittlerweile unter Denkmalschutz.
Der Maler, Keramiker und Objektmacher Jürgen Waller wurde 1939 in Düsseldorf geboren und lebt heute in Bremen und Vallauris.

Jürgen Waller studierte kurz an der Kunstakademie Düsseldorf, ging dann jedoch 1960 nach Frankreich (Vallauris, Paris und Varreddes). 1968 siedelte er nach West-Berlin über. Aufgrund der zunehmend politischen Themen in seinem Werk wird er zu dieser Zeit dem politisch engagierten Flügel des Berliner Kritischen Realismus zugeordnet.

Mit seiner Berufung an die Bremer Hochschule für Künste (ehemals gestaltende Kunst und Musik) ging er nach Bremen. Der Kontakt zu Vallauris brach jedoch nie ab. Dort begann er 1982 im Atelier von Olivier Roy die Arbeit mit Keramik.

Nach dem Besuch eines Kohlestollens in Oberhausen 1984 wird seine Arbeit von der Farbe schwarz dominiert.

Von 1989 bis zu seiner Emeritierung 2002 war Jürgen Waller Rektor der Hochschule für Künste Bremen und zwischen 1993 -1998 auch Vorsitzender der Konferenz der Präsidenten und Rektoren der deutschen Kunsthochschulen.

2002 gründete er die International Academy of Arts, die seit 2005 neben ihrem Standort Vallauris.

http://www.juergenwaller.de

Das Historienbild
"Geschichte des Stadtteils Gröpelingen und der AG-Weser - 1878-1978"

Das Programm
"Kunst im öffentlichen Raum"
in Bremen

Dazu habe ich nachher noch ein paar Fragen. Aber erstmal möchte ich nochmal an den Anfang zurück kommen. Du hast ja gerade gesagt, dass es neben dem Mutterdenkmal nicht so viel Kunst im öffentlichen Raum in Bremen gab, die wirklich politisch motiviert war. Ich habe mal nachgeschaut: 78/79 kam dann doch ein bisschen mehr dazu.

Ja, das war die Folge dieses Wandbildes. Es war damals so, dass auch die Politik solche Forderungen stellte und merkte, dass man Bunker nicht einfach wegstreichen kann, sondern dass ein Bunker einen bestimmten Sinn und Zweck erfüllt, auf den man hinweisen sollte.

Kann man das auch irgendwie in Zusammenhang mit dem deutschen Herbst (1977) sehen? Ich hatte mal daran gedacht, weil die Stimmung da noch politischer wurde …

Naja, es gibt ja immer relativ wenig Künstler, die politisch sind. Wenn, dann schwimmt man mal mit. Hier in Frankreich gab es auch so eine Bewegung nach 68. Das Problem ist aber die Umsetzung. Zu einem politischen Bild zu kommen ist sehr schwer. Und den meisten fällt nichts anderes ein, als irgendwelche Parolen abzumalen. Ich sag immer „Die malen die rote Faust" und das bringt uns aber nicht weiter.

Wir haben auch keine Tradition. Die Tradition ist eigentlich die mexikanische Wandmalerei, die aber auch eine ganz spezielle ist. Ich hab Siqueiros [David Alfaro] kennengelernt. Das war eine Kunst, die eine politische Manifestation war, sich aber an Analphabeten richtete, weil die waren damals Analphabeten, die konnten also nur Bilder sehen. Daher ist die Kunst natürlich auch auf unsere Breitengrade sehr schwer anzuwenden. Wer so was noch konnte, war Guttuso [Renato], der auch keine Wandbilder gemalt hat, aber riesen Tafelbilder. Er hat sich eben auch explizit mit dem Mai 68 beschäftigt. Das sind aber so schon diese Traditionen. Ich kannte zum Beispiel Julio Leparque, ein kinetischer Künstler der aber in Paris mit der Maschinenpistole im Auto Revolution anzünden wollte, sagte aber  „Kunst und Politik: hat beides nichts miteinander zu tun".

Nochmal zum Thema Vorbilder und Inspirationen: das Gröpelinger Bunkerbild ist natürlich politische Kunst, aber es ist gleichzeitig auch ein Historienbild …

Das ist richtig! Das ist ja auch dann Meins. Ich ja hab dann zurückgegriffen auf Signifikanzen, wie das Bild von Otto Dix, aus dem ersten Weltkrieg.

In Bremen in der AG-Weser wurden, die im Harz vorgefertigten U-Boote zusammen gebaut. Man baute dann ja nicht unweit davon, an der Weser, diesen U-Boot-Bunker Valentin. Da sollten am Tag zwei bis 3.000 U-Boote zusammen gesetzt werden, die alle mit dem Schiff aus dem Harz kamen. Die Einzelteile wurden dort unterirdisch hergestellt, da man die U-Boote mit der Eisenbahn nicht in Gänze transportieren konnte. Die Züge rollten auch nur nachts, ohne Licht. Damals gab es noch nicht die modernen Ortungsgeräte. Hat nur Gott sei Dank alles nicht mehr funktioniert.

Und die Initiative für das Wandbild ganz speziell war eigentlich schon vorhanden, an der Kunsthochschule …

... und ich habe das dann in Form gebracht.

Aber die Idee, dass es die Werft sein sollte, war die auch schon da?
Nein! Aber das Konzept davor, das war auch gar nicht das schlechteste. Die sind alle von Tür zu Tür gelaufen und haben gesucht, nach Bildchen von dem alten Gröpelingen. Das Bunkerbild fängt ja mit der Mühle an. Es heißt ja auch 1878 - 1978, das heißt also hundert Jahre Geschichte eines Stadtteils: das fing sehr idyllisch an, dann gab es als erstes die Aktiengesellschaft Weser und und und, und die ersten Segelschiffe. Das war alles prima! Und dann baute man die ersten Kriegsschiffe, eben wie in Hamburg auch. Das setzte sich nach dem zweiten Weltkrieg auch wieder fort. Das Problem war eben, man baute in der AG-Weser Riesentanker, der größte Tanker war die Esso, die ich weiß nicht wie viele hunderttausend Bruttoregistertonnen hatte. Aber man hatte vergessen kleinere Schiffe zu bauen und die großen wurden irgendwann nicht mehr benötigt oder wurden in Süd-Ost-Asien gebaut. Die bauen eben etwas billiger, sind auch besser subventioniert, so ging die AG-Weser pleite. Und das haben wir ja auch schon vorausgesehen. Es ist erst drei oder vier Jahre später passiert, aber da sollte man eigentlich, wenn man richtig hinguckt, die Zeichen der Zeit erkennen und sehen: das ist da zu Ende.
Bunker Gröpelingen
Ostseite (Grasbergstraße)
Wie hat sich der Bildaufbau an sich entwickelt? Es ist ja eigentlich ein Geschichtsfries, die Geschichte läuft relativ linear ab.

Ja! Das Ding ist zwölf Meter mal neun Meter, 35 Meter mal neun Meter und nochmal zwölf Meter mal neun. Also, es ist ein Band. Es hätte verschiedene Möglichkeiten geben können dieses Bild zu malen: so nach Comic-Tradition. Es gibt ja immer verschiedene Möglichkeiten.
Nur ich hatte damals diese Idee. Es gab keine Brüche, und da es keine Brüche gab, habe ich mir gedacht, dann muss das auch so fließend gemalt sein. Deshalb habe ich dann die beiden Winkel an den Seiten ausgenutzt. Einmal ist die Ecke ein Schiffsrumpf. Wenn man davor steht, sieht das so aus, als käme da so ein Schiff raus. Und bei dem anderen Winkel war es, glaube ich, ein Öl-Förderturm oder wie auch immer. Und wie gesagt, es sollte fließend sein. Das war zumindest meine Vorstellung damals, von dem wie man es machen könnte. Ich hätte gerne gehabt, dass man das selbe Motiv, den selben Ablauf in drei verschiedenen Versionen malt. Aber das ist natürlich immer so eine Sache, erstmal gibt es den selben Bunker nicht nochmal.

Hinzu kam, ich habe erstmal ein halbes Jahr da verbracht, das reichte mir schon, und mit so einem Haufen wild diskutierender Studenten. Ich
Bunker Gröpelingen
Ecke Grasbergstrasse/Pastorenweg:
Der Winkel mit Ölförderturm
hatte auch Studenten, die haben gemalt was ich ihnen gesagt habe, und andere, die meinten, sie müssten jeden Handstrich mit mir diskutieren, naja …
Du hast eben gesagt, es gab am Anfang auch Negatives. Ich habe aber in der Literatur gelesen, dass es auch Hilfestellungen, Ratschläge und Korrekturen der Anwohner gab. Wie war das denn insgesamt unter der Aufsicht der Anwohner zu arbeiten? Die sind ja immer vorbei gekommen.

Ja, das Problem war da. Ich habe meinen Studenten erstmal beigebracht, dass sie morgens um 7 Uhr anfangen müssen. Ich kannte das aus anderen Stadtteilen: ach der Künstler kam mal gar nicht, dann kam er nachmittags um zwei, dann ist er um halb drei schon wieder gegangen. Ich hab gesagt: „So was gibt es bei uns nicht! Das ganze Ding wird wie ein vernünftiger Arbeitstag, inklusive Samstag." Da war ich meistens alleine da, weil ich dann das alles korrigieren musste, was die alles so gemalt hatten; wie gesagt, das Problem ist bei solchen
Bunker Gröpelingen
Ecke Pastorenweg/Bauhüttenstrasse
Der Winkel mit dem Schiffsrumpf
Projekten, dass immer die schlechtesten reingehen, was ich nicht verstecken kann.

Nein, die Anwohner kamen immer und sagten „Das ist hässlich und das ist nicht schön und warum kommt nicht die alte Straßenbahn" usw. usf. In verschiedenen Stadtteilen sind die Künstler auch auf die Wünsche der Anwohner eingegangen. Das war alles eine Katastrophe. Also diese, wie sagten sie, diese Kunst von Unten, das geht nicht. Ich habe eine Verantwortung als Künstler und ich muss vor allen Dingen weiter sein, als die anderen, sonst bringt das nichts.

Diese Sache, man macht sozusagen einen Arbeitstag, war das von Dir eine persönliche Sache, oder war das vielleicht auch um den Leuten im Stadtteil zu zeigen …

Die sollten sehen, dass Künstler genauso korrekt und regelmäßig arbeiten, evt. sogar noch mehr als die Leute selbst.
In dem Bild sind auch Bürger von Gröpelingen dargestellt. War das von Anfang an so geplant? Ich habe es zumindest gelesen, dass da Anwohner drauf sind ...

Nein! Die abgebildeten realen Personen, das waren Widerstandskämpfer. Ich habe zum Beispiel Carl von Ossietzky reingebracht, nicht weil der sich in Gröpelingen betätigt hatte, er war irgendwo ganz anders. Aber er war ein Synonym für Widerstand. Außerdem gab es  zur gleichen Zeit in Oldenburg eine Diskussion: die wollten nämlich ihre Universität Carl von Ossietzky - Universität nennen. Das wurde vom Wissenschaftsministerium Niedersachsen erstmal und dann von der Stadt abgelehnt. Sie haben es dann hinterher durch gekriegt. Nicht zuletzt auch durch viel Unterstützung einer, ich sag jetzt mal, linksgerichteten Bevölkerungsschicht.

Auch waren eben die Leute drauf, die ich selbst kennengelernt habe. Menschen, die im aktiven Widerstand waren, die im KZ waren, die aber Gott sei Dank überlebt hatten. Sie sind auch als wieder erkennbare Figuren dargestellt, damit der Widerstand wieder aus der Anonymität, wieder aus der Beschreibung raus geholt wird, um zu zeigen: „Die da waren dabei!"

Also war es nicht so, wie ich bei dem Text den Eindruck hatte, dass es Leute waren, die immer noch in Gröpelingen wohnten?

Nein.

Es waren aber historische Personen?

Ja.

Und wie waren die Reaktionen darauf, das wirklich echte Widerstandskämpfer porträtiert wurden?

Die Leute haben ja gar nichts kapiert, das war das Drama. Das interessierte die auch gar nicht, die hatten ihre Postkarten und die Postkarten zeigten eben wirklich die alte Mühle und die sagten dann „Mit meinen Eltern haben wir da immer Kaffee getrunken". Das waren so deren Geschichten. Es liegt doch in der Natur der Dinge. Die Leute verdrängen diese Scheiß-Geschichte, die wollen da gar nicht dran erinnert werden. Das haben wir auch oft genug zu hören gekriegt. Und wie gesagt, erst als dann BBC-London da stand und die den   Bunker untersucht haben, da haben die erstmal richtig hingeguckt. Vorher haben sie nur gesehen, da ist nicht die alte Straßenbahn drauf. Und jetzt, nach 25 Jahren, da war die Reaktion natürlich ganz anders. Da fanden sie das Bild ganz toll. Auch weil, ich will nicht direkt sagen ein Wallfahrtsort, aber es ist sehr oft besucht. Wenn Gruppen kommen, die etwas über Bremen erfahren wollen, werden die an dieses Wandbild geführt. Und dadurch sehen die Leute natürlich, dass es auch in irgendeiner Form eine Bedeutung hat und so haben sie langsam angefangen es zu akzeptieren.
Bunker Gröpelingen
Hauptseite am Postorenweg
Die Geschichte der Werft und des Stadtteils vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis ins Computerzeitalter
Zum zweiten Teil des Interviews
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