Teil 2

Thyra Schmidt: « I can't just be nowhere »
1974 in Pinneberg geboren, studierte Thyra Schmidt von 1996-2000 freie Kunst (Malerei und Fotografie) an der Fachhochschule Hannover bei Peter Tuma. Nach einem Gastaufenthalt an der Hiroshima City University, Faculty of Art, Japan (1999/2000) und einem Studium an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig bei Dörte Eißfeldt (2000-01), wechselte sie an die Kunstakademie Düsseldorf, in die Klasse von Thomas Ruff (bis 2005). Während dieser Zeit gründete sie mit anderen Ruff-Schülern die Künstlergruppe FEHLSTELLE (2003), die seit dem unterschiedlichste Projekte im öffentlichen Raum durchführte. Neben Einzel- und Gruppenausstellungen ihrer Arbeiten in Galerien und Institutionen, zeigte sie auch in Einzelprojekten ihre Werke im öffentlichen Raum, so beispielsweise 2005 in Köln mit der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur. Thyra Schmidt lebt und arbeitet in Düsseldorf.

Bisherige Ausstellungen
Hausmanns gate 31 (Station No 8)
"überlege, wo ich mich am besten verkriechen könnte,
werde so stark von dieser Frage in Anspruch genommen,
dass ich mitten in der Straße still stehe"
(Knut Hamnsun)
Astrid Gallinat: "überlege, wo ich mich am besten verkriechen könnte, werde so stark von dieser Frage in Anspruch genommen, dass ich mitten in der Straße still stehe" (Hausmanns gate 31 (Station No 8)) Inwiefern wolltest Du die Menschen mit Deiner Arbeit zum Innehalten in der alltäglichen Hektik bewegen?

Thyra
Schmidt: Ich fand es passend, einen längeren Satz hier über der Toreinfahrt  zu platzieren, in einer Straße mit viel Laufpublikum aber auch Straßenverkehr. So weit ich weiß, befindet sich in dem Gebäudekomplex auch eine Anlaufstelle für Hilfsbedürftige.

Bei dieser Arbeit ist es nicht uninteressant zu wissen, dass es sich bei dem verwendeten Text um ein Zitat nach Knut Hamsun handelt. Was mir an diesem Ort beim Aufbau nach ersten kritischen Blicken zu Gute kam...
Ich denke, dass diese Arbeit verschiedene Assoziationen zulässt, ein Gegensatz zur Hektik oder anderes.

A.G.: „I can't just be nowhere" wirkt ein wenig auf mich wie ein Gedichtband, wenn nicht sogar ein Tagebuch, das vergrößert auf den Straßen von Oslo aufgeschlagen wurde. Kannst Du mit diesem Vergleich etwas anfangen, oder verstehst Du das Projekt völlig anders?


T.S.: Diesen Vergleich finde ich sehr schön. Es klingt so sentimental, dass man es schon als peinlich empfinden mag... und genau das gefällt mir. Wobei ich mit „Tagebuch" etwas Autobiografisches verbinde, was ich in meiner Arbeit  eher in Frage stelle.

A.G.: Wenngleich die Arbeiten sehr intim wirken, stehen sie im krassen Gegensatz zum Seelenstriptease, der oftmals in Talkshows geboten wird. Ist diese Stille nicht auch ein Kontrast zum üblichen „Lärm" im öffentlichen Raum, der letztendlich doch wie ein Eyecatcher wirkt?


T.S.: Wie in meiner ersten Antwort schon beschrieben, versuche ich intime Themen mit einer gewissen Würde zu beschreiben. Das mag dazu führen, dass die Arbeiten für manch einen zu geheimnisvoll oder verschleiert wirken. Auf alle Fälle ist es etwas Anderes, als die Art und Weise wie in unserer Gesellschaft in öffentlichen Medien mit so genannter Privatheit umgegangen wird. Als Künstler interessieren mich bestimmte Phänomene meiner Zeit, aber ich habe nicht vor diese zu illustrieren. Letztendlich bleibt Kunst für mich eine Sprache der Form, selbst wenn ich mich dieser Form über inhaltliche Fragen nähere.
ROM for kunst og arkitektur, Maridalsveien 3 (Station No 11)
"und sie bleibt stehen in seinem Licht,
in etwas das sie ganz erfüllt"
verändertes Zitat nach Jon Fosse
ROM for kunst og arkitektur
A.G.: Gab es einen Auftrag für das Projekt? Einen Sponsor? Wenn ja, welche Rolle hatte er und die anderen Unterstützer bei dem Projekt? Haben Sie Einfluss genommen?

T.S.: Es gab weder einen Auftrag noch Sponsoren. Das Projekt wurde mit Fördergeldern für künstlerische Projekte von Institutionen aus Norwegen und Deutschland finanziert.

Durch mein Reisestipendium für Norwegen in 2006 und 2007 kam der Kontakt mit dem Goethe-Institut in Oslo zustande. In Gesprächen mit dem Direktor des Instituts, Michael de la Fontaine, entwickelte sich die Idee zu einem größeren Aus- stellungsprojekt im öffentlichen Raum in Oslo.
Innerhalb weiterer Kurzreisen nach Oslo im letzten und diesem Jahr konkretisierte ich meine Projektidee bis hin zur Planung der Durchführung, ein weiterer Ausstellungspartner wurde ROM for kunst og arkitektur (unter der Leitung von Henrik der Minassian) in Oslo. Wesentliche Hilfe bekam ich vor Ort auch durch Hillevi Munthe, die mir als Assistentin für das Projekt zur Seite gestellt wurde.

Bei den weiteren Personen, die in der Danksagung im weblog aufgeführt sind, handelt es sich hauptsächlich um die Eigentümer der von mir benutzten Gebäude.

Geeignete Flächen nicht nur zu finden sondern für diese auch die Zustimmung zur Nutzung zu erhalten, stellte einen erheblichen Arbeitsaufwand dar, den ich ohne Assistentin nicht hätte meistern können. Ich glaube, während sämtlicher Reisen hatte ich bereits über 30 potentielle Gebäude ins Auge gefasst, mit dem Ziel 10 -15 nutzen zu können.

Meine Arbeit war insofern abhängig von den Zustimmungen, aber selbst Hausbesitzer, die vorab „ihr Motiv" sehen wollten, sprachen sich nie dagegen aus.

Aber einen Einfluss seitens meiner Unterstützer gab es nicht, für das Projekt hatte ich freie Hand.

A.G.: Das Projekt wird durch den Weblog auf der Seite des Goethe-Instituts ergänzt. Diese Erweiterung des Projektes zielt in den nicht direkt urbanen, sondern virtuellen, öffentlichen Raum. Was bedeutet diese Erweiterung für Dich? 

T.S.: Zunächst einmal ist es eine gute Plattform, um das Projekt zu dokumentieren und es weltweit „einsehbar" zu machen.

Die Initialzündung hierfür war, den Passanten die Möglichkeit zu geben, auf die Arbeiten im Außenraum reagieren zu können. Natürlich stoße ich dabei auf das leidige
Thema, wie und ob Kunst im öffentlichen Raum wahrgenommen wird. Zusätzlich in einer virtuellen Plattform zu reagieren, ist dann noch mal eine nächste Hürde. So haben im blog bisher auch nur Personen kommentiert, die ich persönlich kenne.

Ich denke, die Mechanismen eines virtuellen, öffentlichen Raums sind doch sehr verschieden zu dem, was live im öffentlichen Raum passiert und in Oslo zu sehen war. Bei virtuellem Raum denke ich zunächst an die Plattform „Second life".

Eine Ergänzung oder auch Erweiterung des Projekts kann sich für mich aber in Diskussionen zu dem Thema ergeben, gerne natürlich auch im weblog.
A.G.: Inwieweit hast Du die „Bilder" ganz speziell für das Publikum in Oslo ausgewählt bzw. würden sie in einer anderen Stadt ähnlich funktionieren, beispielsweise Mailand, da Du gerade dort warst?

T.S.:
Diese Bilder könnten auch in einer anderen Stadt funktionieren, aber nicht in jedem Land, in dem Fall würde ich bestimmt andere Bilder auswählen.

Ursprünglich hatte ich in Oslo vor, mehr Landschafts- aufnahmen zu zeigen, was ich aber schnell wieder verworfen hatte, im Hinblick auf die eindrucksvolle Natur Norwegens. Die Textbilder würden sich in einer anderen Sprache auch ändern.


A.G.: Könntest Du Dir überhaupt vorstellen, ein vergleichbares Projekt in ähnlicher Form noch einmal in einer anderen Stadt zu machen?

T.S.:
Ein vergleichbares Projekt an einem anderen Ort kann ich mir durchaus vorstellen, jedoch müsste es nicht zwangsläufig ein Projekt mit Bild- und Textbannern an Hausfassaden sein; aber es wäre weiterhin eine Arbeit, die sich in einer gewissen Form mit Intimität in der medialen Öffentlichkeit beschäftigen würde. Denkbar ist dabei für mich auch ein Spiel mit verschiedenen Identitäten, was bisher in Form der handschriftlichen Texte nur im Ansatz in meiner Arbeit stattfindet.
Markveien
Markveien 48/ Nordre gate
(Station No 6)
"Ich lachte laut auf, küsste sie und sagte,
 sie solle von mir denken, was sie wolle."
verändertes Zitat nach Christoph Hein
Letztendlich steht die Frage im Raum, wann und wie ein temporäres Projekt im öffentlichen Raum im Kunstkontext verortet wird. Während es stattfindet, ist es immer auch einer breiten Masse von Kunstdesinteressierten ausgeliefert, es ist eine völlig andere Situation als in ein Museum zu gehen.
 
Im Grunde wird im Nachhinein etwas verhandelt, was es längst nicht mehr gibt, dessen gewesene Ausstellungsform aber weiterhin die Grundlage der Arbeit bleibt.


A.G.: Die Verortung eines temporären Projektes im Kunstkontext und auch seiner Wahrnehmung als Kunst im öffentlichen Raum ist eine interessante Problematik, die nicht nur Künstler und Künstlerinnen sowie Kunstinteressierte ansprechen könnte. Ich nehme diese Anregung gerne auf und werde diese Fragestellung in der Zukunft im Blick behalten. Daher möchte ich auch die Leser und Leserinnen dazu einladen, mir ihre Auffassungen und Kommentare zuzusenden, mit dem Einverständnis zur Veröffentlichung auf dieser Seite. (astrid.gallinat[at]gmail.com)

Eine andere Möglichkeit, sich direkt zu dem Projekt von Thyra Schmidt zu äußern, besteht selbstverständlich auch im Weblog
.

Liebe Thyra, vielen Dank für Deine Zeit, Deine interessanten Antworten und Deine Anregungen!
Photos:

© Thyra Schmidt



©  2009 ARTIFICIALIS

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