Thyra Schmidt: « I can't just be nowhere »
1974 in Pinneberg geboren, studierte Thyra Schmidt von 1996-2000 freie Kunst (Malerei und Fotografie) an der Fachhochschule Hannover bei Peter Tuma. Nach einem Gastaufenthalt an der Hiroshima City University, Faculty of Art, Japan (1999/2000) und einem Studium an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig bei Dörte Eißfeldt (2000-01), wechselte sie an die Kunstakademie Düsseldorf, in die Klasse von Thomas Ruff (bis 2005). Während dieser Zeit gründete sie mit anderen Ruff-Schülern die Künstlergruppe FEHLSTELLE (2003), die seit dem unterschiedlichste Projekte im öffentlichen Raum durchführte. Neben Einzel- und Gruppenausstellungen ihrer Arbeiten in Galerien und Institutionen, zeigte sie auch in Einzelprojekten ihre Werke im öffentlichen Raum, so beispielsweise 2005 in Köln mit der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur. Thyra Schmidt lebt und arbeitet in Düsseldorf.

Bisherige Ausstellungen
In der Zeit vom 18. September bis zum 1. November 2009 waren die Arbeiten der deutschen Künstlerin Thyra Schmidt als Ausstellung im öffentlichen Raum unter dem Titel « I can't just be nowhere » in Oslo zu sehen. Die großformatigen Bilder- und Textarbeiten an Hausfassaden in den Stadtteilen Oslo sentrum, Grøland und Grünerlokka haben einen sehr privaten Charakter. Ihre Präsentation auf Plätzen und Straßen der Stadt lässt eine Spannung zwischen Intimität und Öffentlichkeit entstehen. Es sind ungewohnte Klänge, in unserer hyper-medialisierten Welt. Im Interview erklärt Thyra Schmidt die Hintergründe des Projektes.
Thyra Schmidt
Astrid Gallinat: Bis Anfang November warst Du mit Deinem Projekt « I can't just be nowhere » in Oslo. Nach einem Zwischenstopp in Düsseldorf ging es direkt nach Mailand wegen eines Projektes mit der FEHLSTELLE. Du scheinst andauernd irgendwo zu sein. Ist der Titel der Arbeit in Oslo ein persönliches Statement? Wie ist der Titel entstanden?

Thyra Schmidt:
Den Titel habe ich entnommen aus „Melancholie" des norwegischen Autors Jon Fosse; der ursprüngliche Satz hieß: „ ...irgendwo muss ich ja wohl hin und ich kann ja auch nicht nirgends sein..."

Die Arbeiten in meinem Oslo-Projekt behandeln private Themen, bewusst kryptisch in den öffentlichen Raum gesetzt. Insofern steht der Titel „I cant just be nowhere" für mich eher für etwas Intimes, das seinen Platz sucht, ohne seine Würde zu verlieren.

Wenn ich den Titel auf meine Reisen beziehe, müsste der wohl eher heißen "I can be everywhere …"
Lakkegata
Das gelbe Haus in Lakkegata (Station No 4)
"og eg kan vel ikkje berre vere ingen stad heller"
- ein Zitat aus Melancholie von Jon Fosse
und gleichzeitig der Projekttitel:
"I can't just be nowhere"
A.G.: Die Texte sind Zitate von Schriftstellern, teilweise von Dir leicht verändert. Von wem hast Du warum zitiert?

T.S.:
Da muss ich etwas weiter ausholen: Mit der Verbindung von Text und Bild arbeite ich seit 2003;  begonnen habe ich dabei  mit  „plakativen" Bildkompositionen, illusionistische Fotomontagen bestehend aus Portraits, Landschaften und bereits privat anmutenden bildimmanenten Textphrasen. Daraus entwickelten sich für mich mehrere Werkgruppen, an denen ich bis heute parallel arbeite und die ich untereinander immer wieder in andere Zusammenhänge stelle.

Im Grunde sind es die Bestandteile meiner Montagen, nur dass ich diese in einzelnen Serien vertiefe. Sozusagen zwangsläufig entstand dabei auch eine Serie aus Textfragmenten, an der ich seit 2007 arbeite. Im Gegensatz zu den Textphrasen in meinen Montagen müssen die Texte nun als eigenständige Bilder für mich funktionieren, sowohl inhaltlich als auch formal.
Das Inhaltliche bedingt einen gewissen Grad an Narrativität, ohne dass ich vorhabe eine Geschichte zu erzählen. 

Mich interessieren Aussagen, die zwischenmenschliche Begebenheiten aufnehmen, viele Texte handeln von Glück und Liebe und Erotik. Aber es gibt auch landschaftliche Bezüge oder einfache Beschreibungen eines „menschlichen Wahnsinns"- letzteres habe ich besonders in Werken von Knut Hamsun, Jon Fosse und Christoph Hein entdeckt. Aber dass ich bei dieser Arbeit auf auch auf verschiedene Literatur zurückgreife, sehe ich eigentlich nur als Hilfsmittel.  Die Mehrheit der Texte, die ich verwende, habe ich selbst verfasst, teilweise sind es Aussagen, die man mir gegenüber gemacht hat. Wenn ich aus Literatur zitiere, dann meist in stark veränderter Form; aber selbst das bloße Entreißen aus dem ursprünglichen Kontext führt bereits zu einer anderen Bedeutung.

Mittlerweile ist so eine Ansammlung von Texten entstanden, die sich fortführend erweitert und aus der ich je nach Projekt oder Ausstellung Texte verwende.

Dass die ausgewählten Texte für das Oslo-Projekt überwiegend auf Zitaten beruhen, ist  eher ein Zufall.

Aber um noch mal auf deine Frage zurückzukommen: Die Literatur, auf die ich zurückgreife, reicht von Hölderlin, über die Romantiker bis zu Baudelaire und anderen, bis hin zu aktuellen Schriftstellern.

A.G.
: Sowohl Photos als auch Texte haben einen sehr privaten Charakter. Wie und warum hast Du gerade diese Arbeiten ausgewählt? Gab es eine Leitidee?
Thorvald Meyers gate 61
Thorvald Meyers gate 61 (Station No 7)
"Ich will glücklicher werden als Du.
- Darauf hatte sie nur gelacht und ja gesagt."
(der erste Teil stammt von Thyra;
der zweite Teil ist ein Zitat von Thomas Bernhard)
T.S.: Meine Leitidee war mit privat anmutenden Bildern und Texten im öffentlichen Raum zu arbeiten. Dabei sollte ein Parcours in der Stadt entstehen, innerhalb dessen man die Arbeiten „abwandern" kann. Das bedingt auch eine Wiedererkennung der Arbeiten zueinander und eine gewisse Schlichtheit, so dass ich Bilder ausgewählt habe, die überwiegend in einer ähnlichen Atmosphäre im Sommer in Südfrankreich und am Oslofjord aufgenommen wurden. Es sind Bilder aus vorhandenen Serien aber auch „private Schnappschüsse", zum Leid meiner Freunde mache ich selten einen Unterschied zwischen privater und künstlerischer Aufnahme...

Während meine anderen Bildserien überwiegend aus Fotomontagen bestehen, habe ich die Fotos hier  - mit einer Ausnahme - als Einzelbilder verwendet. Einerseits aufgrund der besseren Präsenz im öffentlichen Raum, andererseits um das Gleichgewicht zu den Texten zu erhalten.
Die Orte und Hausfassaden für die Arbeiten hatte ich zuvor selbst gewählt und dementsprechend auch die Größen und Proportionen der Plakatarbeiten entscheiden können, was auf herkömmlichen Werbeflächen nicht funktioniert hätte.

Die Wahl der jeweiligen Bilder und Texte war insofern verbunden mit formalen Fragen sowie der Atmosphäre und Geschehnisse an den jeweiligen Orten. Warum ich letztendlich welches Bild und welchen Text für welchen Ort gewählt habe ist reine Intuition.


A.G.: Die Ausstellung wurde in drei verschiedenen Vierteln der Stadt präsentiert. Die großformatigen Bild- und Textarbeiten waren an Hausfassaden angebracht und somit für eine breite Öffentlichkeit gut sichtbar. Dennoch wirken die jeweiligen Arbeiten eher privat. Wie waren die Reaktionen darauf?
T.S.: Das erfährt man natürlich am besten, wenn man die Passanten beobachtet und mit ihnen ins Gespräch kommt. Diese Gelegenheit ergab sich für mich persönlich jedoch nur beim Aufbau und der Eröffnung mit anschließender Führung zu den einzelnen Standorten.
Einige Passanten waren sehr ergriffen von den Texten, was mich besonders gefreut hatte, da ich diese in Deutsch ausgewählt hatte und auf Hilfe bei der Übersetzung angewiesen war. Aber es gab auch kritische Stimmen, dass „das Private" innerhalb dieser Arbeit zu geheimnisvoll gehalten sei und offensiver sein könnte.


A.G.: 2007 hast Du in Eisenhüttenstadt (und 2008 in Dunaújváros, Ungarn) schon einmal Textfragmente ausgestellt, jedoch in einer völlig anderen Form (Innenraum, Handschriften, kleineres Format). Einige der Texte waren auch wieder in Oslo vertreten. Verändern sich die Texte für Dich, wenn sie in einem anderen Zusammenhang stehen?

T.S.: In den beiden Ausstellungen hingen jeweils ca. 40 oder 50 dieser Texte in enger Nachbarschaft zueinander, es entstand ein dichtes Beziehungsgeflecht zwischen den Zeilen.

In Oslo dagegen stand jeweils ein Text in Verbindung mit dem Ort draußen, an dem er platziert war bzw. zusätzlich noch in Verbindung mit einem Bild. Die Aussage ist hierbei für mich eine völlig andere.
A.G.: In Eisenhüttenstadt und Dunaújváros waren die Texte handgeschrieben und im Vergleich mit der Straßensituation in Oslo eher in einen intimen Kontext gestellt. Verändern sich die Reaktionen der Betrachter in einem anderen Umfeld und wenn ja inwiefern?

T.S.: Die Texte in den Ausstellungen in Eisenhüttenstadt und Dunaújváros waren von mehreren Personen handgeschrieben, es gab also unterschiedliche Schriftbilder und für den Betrachter stellte sich somit die Frage, ob es persönliche Aussagen verschiedener Leute seien. Das ließ die Arbeit, denke ich, zusätzlich noch intimer erscheinen.

Letztendlich war es ein Fake von Autorenschaft und ein Infragestellen inwieweit etwas privat ist und somit an eine einzelne Person, beispielsweise mich, gebunden ist. Dass ich meine Textauswahl von mehreren Personen schreiben ließ, löste für mich zusätzlich auch ein formales Problem.
Im Oslo-Projekt entschied ich mich dagegen für eine einheitliche Typografie. Die Frage, „wer da zu wem spricht" kam weiterhin auf, wurde aber eher mit den verschiedenen Orten des Parcours in Zusammenhang gebracht.

A.G.: Die Photos und Texte sind, wie Du im Weblog schreibst, jeweils eigenständig zu betrachten. Jede Arbeit ist für sich ein Bild. Manchmal scheinen sie dennoch zusammen zu passen. Beispielsweise am Goethe-Institut, Grønland 16 (Station No 1) "Der Schweiß perlte über seinen herrlichen Mund, den er herb geschlossen hielt" . Das Photo zeigt zwei Männer beim Baden im Pool, die Hitze und damit der Schweiß ist fast greifbar. Jedoch stehen hier Bild und Text nicht direkt nebeneinander.
Goethe-Institut
Goethe-Institut, Grønland 16 (Station No 1)
"Der Schweiß perlte über seinen herrlichen Mund,
den er herb geschlossen hielt"
Bettine von Arnim über Goethe
Gleichzeitig wirken manche Texte wie Stolpersteine. Z.B."Aber ich hatte ihm nichts zu sagen. Dass ich mich nach ihm sehne." am GlasMagasinet, Stortorvet 9/Torggata (Station No 2). Wolltest Du bewusst keine „Harmonie" herstellen?
T.S.: Innerhalb des Parcours gab es Orte, an denen ich nur einen Text platziert habe, und Orte, an denen Texte und Bilder zusammen zu sehen waren, manchmal getrennt voneinander, über Eck an zwei Seiten eines Hauses montiert, manchmal direkt neben- oder übereinander innerhalb einer Plakatarbeit. Bei der Zusammenstellung von Text und Bild war mir wichtig, dass die Texte nicht die Bilder beschreiben, sich gleichzeitig aber auch nicht zu weit vom Bildsujet entfernen. Hätte ich die Arbeiten am Goethe-Institut auf einer Fläche gezeigt, hätte ich einen anderen Text gewählt.

Den Text in der Arbeit am GlasMagasinet empfinde ich persönlich nicht als disharmonisch. Er stand unter einem Landschaftsbild, das die Textaussage bekräftigen könnte oder aber auch den Standort des Autors beschreiben könnte.

Bei der Arbeit am GlasMagasinet, einem großen Kaufhaus mitten in der Innenstadt, war für mich am wichtigsten, dass sich diese Arbeit noch deutlicher als anderorts von einem Werbeplakat unterscheidet, die großen Schaufenster des Geschäfts befanden sich in der Nähe.
GlasMagasinet, Stortorvet 9/Torggata
(Station No 2)
"Aber ich hatte ihm nichts zu sagen.
Dass ich mich nach ihm sehne."
Textfragment nach Christoph Hein
GlasMagasinet
A.G.: Wenn es für Dich auch keine Disharmonien sind, so steht Deine Arbeit doch irgendwie im Gegensatz zu unseren Sehgewohnheiten, da wir an Gebäuden im öffentlich Raum für gewöhnlich Werbung, die wesentlich „glatter" ist, finden.
In diese Richtung wirkt auch Markveien 58 (Station No 5). "Meine Liebe steht Dir." ist über einem Frisörsalon angebracht. Sind Deine Arbeiten als „Antiwerbung" zu verstehen?



T.S.: Nein, als  „Antiwerbung" verstehe ich sie nicht, dann müsste ich ja gegen ein Produkt werben. In diesem Fall war es einfach nur Humor.
Markveiein Frisör
Markveien 58 (Station No 5)
"Meine Liebe steht Dir."
Zitat von Novalis
Zum zweitenTeil
Photos:

© Thyra Schmidt



©  2009 ARTIFICIALIS

Eisenhüttenstadt
Kongress der Futurologen, 2007
Aktivist, Eisenhüttenstadt
Thyra Schmidt: o.T. (Textfragmente), 2007