Aber im Gegensatz zu Sophie Calle, die die Ebenen des Intimen und des Privaten noch mit fiktiven Elementen verzerrt, haben wir es hier nicht mit einem Fake zu tun. Thyra Schmidt hat diese Postkarte tatsächlich erhalten. Sie war damals gerade 17 Jahre alt und lebte in Norddeutschland. Nach dieser Karte folgten noch einige, ähnliche Briefe, genauso leidenschaftlich und anonym. Irgendwann wurde der Verliebte entblößt - und wer es genau wissen will, kann auf Nachfrage erfahren, dass es zu einer Liaison zwischen Schmidt, geb. Früchtenicht, und dem Verfasser der Karte kam.
Fast zwanzig Jahre später wird die persönliche Geschichte schamlos unter das Volk gebracht. Es ist schamlos, weil - anders als in den massenmedialen Liebesgeschichten, die zum modernen Opium der Bild-, Gala- und Brigitte-Leser geworden sind - kein Glanz und kein Glamour in dieser Karte stecken. Es ist auch keine schmutzige Story, keine schlüpfrig-geile Enthüllung, die das kranke Bedürfnis der Massen nach einer angeblichen Transparenz von „Prominenten" stillen würde. Nein; es ist hier gerade das Romantische, Zerbrechliche und Vertraute, das Authentische und Nicht-Entfremdete, das in die Agora geworfen wird.